Und? Fühlst du dich angegriffen? Ich würde mich vermutlich angegriffen fühlen. Allerdings: Wenn du erfolgreich sein willst, musst du dich dieser Frage kritisch stellen. Zu einer guten Reflexion gehört immer auch ein Blick auf den Dunning-Kruger Effekt.
Lass uns keine Zeit verlieren und gleich loslegen. Ich garantiere dir: Das Thema ist extrem wichtig für deinen persönlichen Erfolg! Sei also kein Ignoranter Idiot, sondern werde zum echten Experten in deinem Gebiet. Auf gehts.
Was ist der Dunning-Kruger Effekt?
Der Dunning-Kruger Effekt ist eine 1999 von David Dunning und Justin Kruger veröffentlichte Theorie, die versucht zu erklären, wie sich die kognitive Verzerrung inkompetenter Menschen auf deren Verhalten auswirkt. Diese Theorie ist zwar aus wissenschaftlicher Sicht nicht so bedeutend, da sie einen sehr vereinfachten Blick auf die Welt legt: Als mentales Modell ist sie dagegen perfekt geeignet, um Verhaltensweisen, die man im Geschäftsleben häufig antrifft, besser einordnen zu können. Zu den Kritikpunkten dieser Theorie komme ich weiter unten.
In diesem Beitrag gebe ich dir 6 Tipps, wie du den negativen Auswirkungen des Dunning-Kruger-Effekts entkommen kannst.
Wie der Dunning-Kruger Effekt deinen Alltag bestimmt!
Kennst du das? Du kennst dich in einem Themenbereich, z.B. CI/CD super aus, du hast schon vieles gesehen und bereits einige Technologien und Konzepte erprobt. Du hast also einen gewissen Expertenstatus erlangt. Dennoch überwiegt bei dir die Unsicherheit, weil du gesehen hast, was es noch alles zu lernen und zu verstehen gibt, welche Fülle an Tools es noch zu entdecken gibt und welche Randthemen doch wichtiger sind, als sie am Anfang erschienen. Am Beispiel des CI/CD wäre das beispielsweise
- das Release Management,
- das Risikomanagement,
- das Schwachstellenmanagement,
- die verschiedensten Arten der statischen Codeanalyse,
- der Wert des Test Driven Development als Sicherheitsnetz,
- End-to-End-Systemtests als zweites Sicherheitsnetz,
- die Themen Canary Build und Blue-Green-Deployment als drittes Sicherheitsnetz,
- das Thema Observability als viertes Sicherheitsnetz bei den Releases,
- Pull- oder Push-Deployment mit GitOps,
- und viele weitere Aspekte, die alle miteinbezogen werden sollten.
Du hast einen gewissen Reifegrad erreicht, sodass du zwar sinnvolle Entscheidungen treffen kannst, die Unsicherheit dir aber immer wieder aufzeigt, welche Risiken das birgt und was es noch alles zu beachten gibt.
Dann kommt ein Berater eines angesehenen Beratungsunternehmens. Er erklärt dir unumwunden, dass das alles Nonsens ist und du doch bitte einfach Tool XY einsetzen sollst und es damit ganz einfach ist. Es fallen Aussagen wie:
- „Heute braucht man kein Release Management mehr, man deployed sofort in Produktion. Time to Market ist heute angesagt“
- „Mach GitOps mit ArgoCD: Das befreit dich von all den Betriebsthemen und du kannst dich voll auf die Software-Entwicklung konzentrieren.“
- „Helm macht heute keiner mehr, die coolen Kids nutzen Kustomize.“
Kennst du solche Aussagen?
Der Dunning-Kruger Effekt – ein bisschen Theorie
Der Dunning Kruger Effekt bezeichnet den Effekt, dass man bei geringem Wissen zu maßloser Selbstüberschätzung neigt (Kognitive Wahrnehmungsverzerrung). Je mehr man lernt, desto unsicherer wird man, bevor man am Ende fast so viel Selbstvertrauen hat wie der Einfaltspinsel ohne Ahnung.
Im Bild oben sieht man den Zusammenhang zwischen dem Selbstvertrauen und der Kompetenz.
- Anfangs betritt man das Themengebiet, erste Erfolge stellen sich ein. Man fühlt sich super. Es fühlt sich alles einfach und beherrschbar an. Wenn man an dieser Stelle stehenbleibt, hat man den Status eines Ignoranten Idioten erreicht. Man hat ein hohes Selbstvertrauen bei geringer Kompetenz.
- Mit steigender Kompetenz eröffnen sich immer mehr Möglichkeiten. Das Themengebiet wird unübersichtlich und schwer greifbar. Man befindet sich im Tal der Verzweiflung.
- Nun tritt eine Spezialisierung auf, der Nebel lichtet sich. Es ist kompliziert, aber dennoch machbar. Man befindet sich auf dem Weg der Erleuchtung.
- Geht man diesen Weg weiter, wird man zum Guru. Ein Guru weiß, was er nicht weiß, er weiß, wo es sich lohnt zu lernen und beherrscht das Themengebiet. Interessant daran ist: Sein Selbstvertrauen ist lauf dem Dunning-Kruger-Effekt immer noch unter dem des Ignoranten Idioten.
Die Gefahr des Dunning-Kruger Effekts
Die Menschen folgen in der Regel demjenigen, der fest überzeugt ist von seiner Meinung. Leider sind es meistens die Leute, die gerade erst mit dem Lernen begonnen haben und noch wenig Erfahrung und damit keinen Überblick über die Komplexität des Stoffes haben.
Der Dunning-Kruger Effekt in der Praxis
Wenn wir uns das Beispiel oben noch einmal anschauen, dann fällt uns auf, dass der Berater auf den Dunning-Kruger-Effekt hereingefallen ist. Er steht noch ganz am Anfang des Lernens, überschätzt sein Wissen maßlos. Es gibt zwei schöne Beschreibungen für diese Art der Beratung:
- „Berater-Eunuchen: Sie wissen, wie man’s macht“ – Volker Pispers
- „Kompetenz zeigen bei völliger Ahnungslosigkeit“ – Berater-Aphorismus
Die Beraterkrankheit
Der Dunning-Kruger-Effekt ist leider eine Berufskrankheit der Beratungsbranche. Es wird erwartet, dass sie mindestens Generalisten sind, aber dennoch T-Shaped oder gar M-Shaped sind. Das bedeutet, dass sie alles wissen müssen (Generalisten), aber in einer (T-Shaped) oder in mehreren (M-Shaped) Disziplinen die absoluten Experten sein sollen. Wie unrealistisch das ist, sieht man schon an den Sportlern: Ein Zehnkämpfer kann in den Einzeldisziplinen einem Sprinter oder einem Stabhochspringer nicht das Wasser reichen.
Die Architektenkrankheit
Software-Architekten leiden leider unter derselben Berufskrankheit. Auch sie fallen oft auf ihr gefährliches Halbwissen herein. Sie stehen vor der Herausforderung, den Überblick behalten zu können, den Anschluss beim technologischen Wandel nicht zu verpassen und dennoch jederzeit in der Lage zu sein, gute, fundierte und richtungsweisende Entscheidungen zu treffen.
Wie du dem Dunning-Kruger Effekt ein Schnippchen schlagen kannst
Der Dunning-Kruger-Effekt bedroht uns alle. Wenn du nicht als Einfaltspinsel gelten möchtest, solltest du folgende Tipps umsetzen:
Tipp 1: Kontinuierliches Hinterfragen und Reflexion
Gib dich nicht mit einfachen Lösungen und Best Practices zufrieden. Diese sind in der Regel nicht für deine Problemstellung geeignet oder unzureichend. Hinterfrage sie also kontinuierlich. Gehe genauso mit deinem Wissen um. Frag dich immer, ob es da nicht noch mehr gibt, was du wissen solltest. Meist hilft es. seinen eigenen Trott mal zu verlassen und das Problem aus anderen Perspektiven zu betrachten.
Tipp 2: Das Nachdenken über das eigene Denken
Wie oft hast du deine Art zu denken hinterfragt? Wir sind oft gefangen in Routinen, treffen Entscheidungen so, weil wir es schon immer so getan haben. Das Unterbewusstsein regiert unser Denken, das Bewusstsein agiert eher wie ein Regierungssprecher. In seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ (affiliate Link) unterscheidet Daniel Kahnemann zwischen zwei Systemen: System 1 bezeichnet den Teil, der schnelle, unbewusste Entscheidungen trifft. Diese sind nicht zwingend immer richtig. Oft stellt sich bei genauerem Nachdenken (mithilfe des System 2) heraus, dass System 1 falsche Annahmen und demnach falsche Entscheidungen getroffen hat.
Tipp 3: Ein Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten erlangen
Kennst du die vier Stufen der Kompetenz? Es ist ein einfaches, aber dennoch wirkungsvolles Modell, um sein Wissen und seine Fähigkeiten rudimentär einordnen zu können. Die 4 Stufen sind:
- Unbewusste Inkompetenz
- Bewusste Inkompetenz
- Bewusste Kompetenz
- Unbewusste Kompetenz
Die Kunst des Expertentums ist es, mit seinen Kompetenzen in den vierten Bereich vorzustoßen. Um dem Dunning-Kruger-Effekt zu entkommen ist es aber noch wichtiger, seine Fähigkeiten in diese vier Stufen einzuordnen und diese Einordnung regelmäßig zu hinterfragen.
Tipp 4: Die Möglichkeit, neues Wissen in Systeme einzuordnen
Was machst du, wenn du neues Wissen erlangst, zum Beispiel wenn du einen Blogartikel oder Buch liest oder einen Online-Kurs durcharbeitest? Dein Gehirn besteht aus einem neuronalen Netz, dass neue Informationen in dieses Netz einordnet und die Verbindungen stärkt, die öfters verwendet werden. Es gibt zwei interessante Ansätze, diese Art des Denkens und Wissensmanagements zu stärken:
- Mind-Mapping: Diese Technik sollte inzwischen jeder einigermaßen gut beherrschen. Von einem Stichwort oder Frage in der Mitte gehen die einzelnen Äste und Zweige ab, die sich wiederum miteinander verbinden lassen. So baut sich eine Landkarte des Wissens auf. Dies funktioniert genauso umgekehrt. Durch das Erstellen der Mind Map werden die Pfade zwischen den neuronalen Knoten im Gehirn gestärkt.
- Zettelkasten nach Luhmann: Niklas Luhmann war ein bedeutender deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker. In seinem Leben hat er allein 64 teilweise sehr Umfangreiche und wegweisende Bücher geschrieben (einige sind erst nach seinem Tod veröffentlicht worden. Insgesamt hat er 1464 Werke geschrieben. Diese Fülle an Büchern, die gleichzeitig eine sehr hohe Qualität besitzen, hat er mithilfe einer Methodik geschaffen: Dem Zettelkasten. Dort hatte er über 90.000 Zettel erfasst, die jeweils einen Einzelaspekt beleuchten. 24.000 davon kann man sich im Online-Archiv anschauen. Sönke Ahrens hat diese Methodik in seinem Buch „Das Zettelkasten-Prinzip“ (affiliate Link) in handhabbare Schritte heruntergebrochen, sodass auch ein Normalsterblicher wie du und ich seinen Nutzen daraus ziehen kann.
Ob wir nun von Schubladendenken in seiner positiven Form oder vernetztem Wissen reden; Es ist wichtig, dass du in der Lage bist, neu erworbenes Wissen mit deinem bereits vorhandenen Wissen zu verknüpfen oder auch, dein vorhandenes Wissen durch neue Erkenntnisse zu revidieren.
Tipp 5: Die Möglichkeit, Wissen auf seine Genauigkeit zu überprüfen
Wie gehst du vor, wenn du einen Blog-Artikel gelesen hast und eine vermeintliche Erkenntnis daraus gezogen hast? Ich stelle dir zwei Extreme vor:
- Du vertraust dem Autor blind. In dem Fall glaubst du einfach das, was du gelesen hast, nimmst es in dein Wissensarchiv auf und arbeitest fortan mit diesem neuen Wissen.
- Du bist sehr kritisch und brauchst diverse Belege dafür, bevor du glaubst, dass der Autor mit seiner Behauptung recht hat.
Ich glaube, ein gesunder Mittelweg ist sinnvoll und es sollte sich nach der Kritikalität des Wissens richten, wie du mit diesem Wissen umgehst. Hier ein paar Möglichkeiten:
- Du vertraust dem Autor und wartest, bis ein anderer Fakt dies belegt oder widerlegt.
- Du startest eine Recherche, um herauszufinden, ob es noch mehr Menschen gibt, die diese Meinung vertreten.
- Du startest ein Experiment, mit dem du versuchst, das neu gewonnene Wissen zu validieren oder zu widerlegen. Eine schöne Methode ist das Chaos Engineering.
- Du diskutierst mit Kollegen oder Bekannten dieses Wissen, um mehr Perspektiven und Aspekte mit einzubeziehen.
Wichtig ist, dass du nicht einfach nachplapperst, was andere gesagt haben, sondern dass du dir deine eigene, individuelle Sicht aufbaust und diese durch neue Erkenntnisse immer wieder aktualisierst. Das nennt sich dann Wissensarbeit.
Tipp 6: Verschiedene mentale Modelle aktiv anwenden lernen
Mein letzter Tipp führt dich auf eine großartige Seite, die dir dabei helfen kann, deine Denkweise völlig zu verändern: https://fs.blog
Dort lernst du diverse Modelle kennen, die dir dabei helfen können, Aspekte einzuordnen und andere Blickwinkel einzunehmen, um deine Entscheidungen besser bewerten zu können. Ich empfehle dir, dort einmal einen Blick drauf zu werfen. Es lohnt sich.
Grenzen des mentalen Modells
Jedes mentale Modell hat seine Grenzen. Ein in diesem Kontext häufig zitierter Satz lautet: „The map is not the territory.“
Auch beim Dunning-Kruger-Effekt ist in gewisser Weise Vorsicht geboten. So wird die Einschätzung als „ignoranter Idiot“ nur bei wenig Kompetenz angegeben. Menschen und Kulturen sind allerdings sehr unterschiedlich. So wurde nachgewiesen, dass östliche Kulturkreise, in diesem Fall Japaner, deutlich anders agieren als westlich geprägte Kulturkreise, z.B. US-Amerikaner und Westeuropäer. Auch sind die vier Stufen nicht bei jedem Menschen zwangsläufig gleich. Die Stufen sind eher als Wahrscheinlichkeiten zu verstehen und beziehen sich immer auf genau ein Themengebiet. So kann ein Professor und Koryphäe eines Themengebietes gleichzeitig in einem ähnlichen Themengebiet ein ignoranter Idiot sein. Auf der anderen Seite kann jemand, der noch wenig Kompetenz hat, durch kulturelle Aspekte zur Demut neigen und dadurch davor geschützt sein, mit zu viel Selbstvertrauen zum ignoranten Idioten zu werden.
Verwandte Effekte
Es gibt drei Effekte, die mit dem Dunning-Kruger Effekt verwandt sind:
Der Hochstapler-Effekt: Kompetente Menschen wissen, was sie alles noch nicht wissen. Das führt dazu, dass sie ihr eigenes Wissen und ihre eigene Kompetenz im Vergleich zu anderen Menschen unterschätzen. Sie fühlen sich wie Hochstapler und treten dementsprechend unsicher auf. Dadurch werden sie als weniger Kompetent wahrgenommen.
Das (ungesunde) Halbwissen: Menschen, die auf der Lernkurve bereits weiter fortgeschritten sind, können dennoch zum Dunning-Kruger-Effekt, also der maßlosen Überschätzung ihrer Kompetenz, neigen. Es ist eine Frage der Wahrscheinlichkeiten, nicht der totalen Zahlen und Werte. Denk mal darüber nach: Wie viele Entscheidungen in deinem Unternehmen beruhen aus diesem Grund auf falschen Annahmen und falsch verstandenen Zusammenhängen?
Differenzierte Sichtweise: Experten in Talkshows erkennt man daran, dass sie regelmäßig von den ignoranten Idioten niedergebrüllt und auseinandergenommen werden. Differenzierte Sichtweisen sind unbeliebt und werden oft fälschlicherweise als Unsicherheit aufgefasst. Einfache Lösungen und vereinfachte Sichtweisen werden als kompetenter wahrgenommen als eine Sichtweise, die die verschiedenen Aspekte beleuchtet und zu einer Lösung, basierend auf Wahrscheinlichkeiten, kommt.
Fazit
Du hast gesehen, dass der Dunning-Kruger-Effekt uns alle betrifft. Was kannst du davon mitnehmen?
- Schau, dass du nicht in die Falle hineintappst. Meine sechs wichtigsten Tipps hast du bekommen.
- Überprüfe die Aussagen deines Gegenübers, ob er auf den Effekt hineingefallen ist. Nur weil er eine andere Meinung vertritt, heißt das nicht, dass er keine Ahnung hat. Aber wenn nicht in der Lage ist, seine Ansicht ohne Totschlagargumente („Das haben wir schon immer so gemacht!“, „Das macht man heute so!“), solltest du vorsichtig sein
Generell sind die oben beschriebenen, metakognitiven Fähigkeiten einer der wichtigsten Aspekte in der Wissensarbeit, die maßgeblich in der Software-Entwicklung und dem Betrieb von Produkten ist. Deshalb ist es für jedes Mitglied eines Produktteams und jeden Berater wichtig, zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen und diese zu akzeptieren.